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Die Sorgen der Millionäre

Fast auf den Tag genau vor 50 Jahren überholte der VW Käfer das Ford Model-T und stellte einen neuen Produktionsrekord auf. Zu einer Zeit, wo er sich immer noch blendend verkaufte, dennoch immer mehr zum Problem wurde. Ein Drama in Millionen Akten.

Roland Scharf

Der 17. Februar 1972 wird vielen in Wolfsburg lange in Erinnerung geblieben sein. Es begab sich nämlich an genau jenem Tag, dass mit dem 15.007.034sten Käfer der Produktionsrekord der Ford Model-T endgültig eingestellt werden konnte. Juhu. Definitiv ein Grund zum Feiern, oder? Ja, nach außen hin auf jeden Fall. Es gab einen schönen Empfang, die Arbeiter bekamen alle Brötchen, Pressefritzen durften das Werk besuchen und bunte Bilder machen und es gab sogar ein Sondermodell, den Weltmeister, in schönem Blaumetallic, mit speziellen Stahlfelgen und ansonsten aber ein ziemlich normaler 1302 S. Das Leben war schön.

Aber war es das wirklich? Die Weichensteller in der Konzernzentrale in Wolfsburg waren sich da nicht so sicher. Man befand sich nämlich zunehmend in einer prekären Situation. Der Käfer war immer noch sehr beliebt, lief jährlich mehr als eine Million Mal vom Band. Aber die Konkurrenz wurde nicht nur immer stärker und war schon lange viel moderner. Auch machte der hohe Handarbeitsanteil den wichtigsten Ertragsbringer von VW zunehmend finanziell unattraktiver. Ihn teurer zu machen, wäre unmöglich gewesen. Ihn aber von heute auf morgen abzulösen, wäre aufgrund der schieren Menge an Mitarbeitern, die in einer entsprechend starken Gewerkschaft organisiert waren, ein riesiges Wagnis – viel zu hoch das Risiko, der Neuling würde an die Erfolge nicht anknüpfen können, und alle wären dann arbeitslos.

Immerhin hinterließ Heinrich Nordhoff – nach dem Krieg bis zu seinem Tode 1967 Mister VW und der Vater des Wiederaufbaus – einen finanziellen Polster in mehrstelliger Millionenhöhe, den den man aber ziemlich schnell verrauchte, auf der Suche nach DEM Käfer-Nachfolger. Zahlreiche Prototypen unterschiedlichster Konzepte konnten nicht überzeugen. Die Übernahme von Audi und später NSU brachte aber langsam Struktur in das konstruktive Chaos. Frontantrieb. Wasserkühlung. Eckiges Design – also alles anders als bisher. Noch war es aber nicht so weit, und eine nicht uneinflussreiche Menge an Hardlinern hielt zudem eisern am Käfer fest, weswegen man sich zu Beginn des Jahrzehnts daran machte, den Wagen fit für die nächsten Jahre zu machen. VW ist schließlich Käfer. Und Käfer VW.

Die wichtigsten Kritikpunkte, wenig Platz, schlechtes Fahrverhalten, bemitleidenswerte Fahrleistungen, wollte man in den Griff kriegen, indem man einen komplett neuen, deutlich längeren, Vorderwagen mit Federbein-Vorderachse entwarf, dazu dem Motor mehr Hubraum spendierte und die Hinterachse aufwändigst auf Schräglenker umstrickte. Für den Käfer, der Jahrzehnte über eigentlich immer nur in Details verbessert wurde, war das eine Palastrevolution, und entsprechend musste auch ein neuer Name her. Man beließ es bescheiden bei einer Korrektur der Nomenklatur.

Statt schlicht den Hubraum als Kennung zu nehmen, hieß der neue fortan 1302 mit 1,3 Litern Hubraum. Und das Topmodell mit 1600 Kubik war der 1302 S, dessen 50 PS die Grenzen des Boxerkonzepts aufzeigten. Thermisch immer am Rande des Vulkans unterwegs, musste man aufgrund des zentral angeordneten Vergasers das Gemisch dermaßen fett abstimmen, dass man kurz vor Beginn der Ölkrise schon ein echter Fan des Autos gewesen sein musste, um den Verbrauch zu akzeptieren.

Aber der Käfer war nun einmal der Käfer, die Verkaufszahlen waren eigentlich OK, und ehe man dachte, es doch noch einmal geschafft zu haben, schwappte aus den USA – VWs wichtigster Exportmarkt, der ohnehin schwächelte – die neue Hiobsbotschaft über den großen Teich: Nach strengeren Abgastests sollten nun die Crashtest-Auflagen verschärft werden, unter anderem dank eines Mindestabstands von Fahrerkopf zu Windschutzscheibe. Da sah es beim Käfer sehr schlecht aus, weswegen der 1302 nach nur knapp drei Jahren Bauzeit noch einmal komplett überarbeitet werden musste.

Man gestaltete das Dach um, die Fronthaube, verbaute erstmals ein Armaturenbrett, weich aufgeschäumt und eine Windschutzscheibe, die nicht nur viel größer, sondern erstmals auch gewölbt war. Fertig war der 1303, der es zum Modelljahr 1973 in den Handel schaffte – just zu einem Zeitpunkt, als die USA die Sicherheitspläne großteils wieder zurücknahmen. Und auch nur rein gutes Jahr bevor der Golf die Bühne betreten sollte und den Käfer ziemlich schnell aufs Abstellgleis befördern sollte. Sprich: Der 1303 wurde nur mehr als Cabrio gebaut (bis zur Ablöse durch den Golf 1979), das restliche Krabbler-Angebot auf wenige Basismodelle reduziert.

Die ganze Action mit den 02/03er-Modellen hätte man sich rein rechnerisch also sparen können. Aber über Paradigmenwechsel muss man sich erst einmal drüber trauen. Und man muss ja fairerweise sagen, dass mit dem Auftreten des Golf der Käfer zwar zum Nischenprodukt mutierte. Er blieb der Welt dennoch weitere 30 Jahre erhalten, wobei die in der Zeit gebauten sechs Millionen Stück vergleichsweise mager klingen.

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