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Build Your Dreams als Teslas Albtraum?

Die chinesische Marke Build Your Dreams – kurz BYD – hat sich in Europa bereits einen Namen gemacht und mit dem Atto 3 aufhorchen lassen. Nun legt man sich direkt mit Platzhirsch Tesla an und fordert das aufgewertete Model 3 mit dem Seal heraus. Wir haben die beiden gegenübergestellt und ausführlich getestet.

Stefan Schmudermaier

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Es ist schon unglaublich, was Elon Musk aus der anfangs belächelten Marke Tesla gemacht hat. Er hat die Technologieführerschaft in Sachen Elektroautos ausgerufen und damit die meisten anderen Autohersteller auf dem Globus ziemlich kalt erwischt. Mit der zeitgleich hochgezogenen Ladeinfrastruktur in Form von Tesla Superchargern ist ihm ein weiterer Coup gelungen, dem alle anderen hinterherhecheln.

Der endgültige Durchbruch für die Amerikaner kam mit dem Model 3 im Jahr 2017, als man in Preisregionen vorstieß, die nicht nur Großverdiener erreichen konnten. In Europa sorgte dann das Model Y Mitte 2021 dafür, dass die Zulassungszahlen endgültig durch die Decke gingen. 2022 war das Model Y das meistverkaufte Elektroauto weltweit, 2023 das meistverkaufte Auto überhaupt, sogar noch vor dem äußerst erfolgreichen Toyota Corolla!

Der BYD Seal hat klar das Tesla Model 3 im Visier

Ende 2023 folgte nach sieben Jahren ein umfangreiches Facelift des Model 3, nahezu zeitgleich brachte BYD mit dem Seal eine vollelektrische Limousine auf den Markt, die es ganz klar auf den bis dato kleinsten Tesla abgesehen hat. Und auch das Model Y bekommt Konkurrenz von BYD, den Seal U, den wir ebenso schon gefahren sind. BYD – spricht sich „Bi-Wei-Di“ – steht als Abkürzung für „Build your dreams“, also bau dir deine Träume. Wer sich jetzt denkt, BYD wäre nur eine weitere chinesische Marke, die es aktuell in Europa probiert und vielleicht wieder von der Bildfläche verschwindet, der irrt gewaltig. Auf das gesamte Jahr 2023 lag Tesla mit 1,8 Millionen weltweit verkaufter E-Autos zwar voran, nur 200.000 Einheiten dahinter landete aber schon BYD. Und im letzten Quartal haben die Chinesen den Amerikanern sogar schon den Rang abgelaufen.

Elektrische Weltherrschaft

Das Duell zwischen dem Model 3 und dem Seal ist also auch ein Duell um die elektrische Weltherrschaft, um ein Superlativ zu bemühen, mit dem wohl auch Herr Musk seine Freude hätte. Aber nehmen wir doch etwas Theatralik heraus und betrachten die beiden Testprobanden nüchtern. Rein optisch müsste man lügen, würde man dem Seal nicht einige optische Parallelen zum Model 3 attestieren. Design liegt zwar immer im Auge des Betrachters, in unserem hat der Herausforderer jedenfalls die Nase vorn, egal aus welchem Blickwinkel betrachtet. Freunde des minimalistischen Designs fühlen sich bei Tesla bestens aufgehoben, das gilt auch für das Interieur, doch dazu später mehr.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Fakten: Der Seal bringt es auf eine Länge von 4,80 Metern und überragt das Model 3 somit um acht Zentimeter. Auch in Breite und Höhe liegt der BYD eine Spur über dem Tesla. Was das Gewicht betrifft, sind die beiden mit 2.260 beziehungsweise 2.263 Kilogramm nahezu gleichauf, obwohl der Seal nicht nur in Sachen Abmessungen größer ist, sondern auch über einen größeren Akku (84 zu 78,1 kWh) verfügt. Im Innenraum bleiben sich beide wenig schuldig, vier Erwachsene finden in beiden Autos gut Platz.

Beim Ladevolumen hat der Tesla dann die Nase vorn, sein Kofferraumvolumen liegt – auch dank eines üppigen Unterflurfachs – bei 594 Litern, da muss sich der Seal mit 400 Litern geschlagen geben. Auch das Frunk-Duell – der Laderaum unter der Motorhaube – entscheidet das Model 3 mit 88 zu 53 Litern für sich. Punkt für BYD: Die Anhängelast liegt hier bei 1.500 Kilogramm, der Tesla darf maximal eine Tonne an den Haken nehmen.

Ergonomisch eingeschränkter Tesla, konventioneller BYD

Hinter dem Lenkrad Platz genommen, könnte der Unterschied zwischen Tesla und BYD kaum größer ausfallen. Das Model 3 ist das wohl minimalistischste Fahrzeug, dass es jemals gab. Dass sich bei den Tesla-Modellen alles um den großen Touchscreen in der Mitte dreht, ist nichts Neues, mit dem Facelift ist man aber nun – zumindest unserer Meinung nach – übers Ziel hinausgeschossen. So gibt es beim neuen Model 3 keine Lenkstockhebel mehr!

Die Tasten für die Blinker befinden sich links im Lenkrad, ergonomisch keine gute Idee. Vor allem, wenn man etwa beim Ausfahren aus einem Kreisverkehr blinken möchte und das Lenkrad 180 Grad verkehrt steht. Dann darf man die Tasten rechts am Lenkrad suchen, die dort natürlich ebenfalls auf dem Kopf stehen ... Dass Fernlicht und Scheibenwischer auch zu Multifunktionstasten wurden, wäre noch verkraftbar, dass aber sowohl das automatische Fernlicht als auch der Regensensor unzuverlässig arbeiten, nervt gewaltig. Vorwärts- und Rückwärtsgang werden übrigens durch Sliden am Touchscreen eingelegt ...

Ganz anders der BYD Seal. Hier ist alles so konzipiert, wie man es von einem Auto erwartet und wie sich das auch über Jahrzehnte bewährt hat. Blinker, Wischer und Schalthebel beherbergen keine Überraschungen, das automatische Abblendlicht funktioniert ebenso gut wie der Regensensor. Und während der Tesla weder über ein Display hinterm Lenkrad geschweige denn ein Head-up-Display verfügt, gibt’s im Seal gleich beides. Einzig mit dem im Tesla nun neuen Display zwischen den Vordersitzen für die Fondpassagiere kann der BYD nicht dienen, hinterm Lenkrad wär’s uns aber deutlich lieber gewesen.

Beim Fahren hat Tesla die Nase vorn

Tesla-Fans sind vermutlich gerade ziemlich am Fluchen ob unserer Kritik, aber keine Angst, es ist beileibe nicht alles schlecht am Model 3. Womit wir beim Thema Fahren angelangt wären. Hier macht der übrigens ebenso in China gebauten E-Limousine niemand so schnell etwas vor. Der 3er klebt auf der Straße, dass es eine wahre Freude ist, selbst bei voller Beschleunigung – in 4,4 Sekunden auf 100 km/h – kommen sogar bei nasser Straße keinerlei Traktionsprobleme auf, Fahrwerk und Lenkung sind richtig gut abgestimmt.

Der Seal beschleunigt zwar sogar in nur 3,8 Sekunden auf Tempo 100, bringt die Kraft aber dennoch nicht so sauber auf die Straße wie sein Kontrahent und kämpft mitunter mit leichtem Schlupf und bremsender Elektronik. Am Fahrwerk gibt’s auch hier nichts zu bemängeln, allerdings greift das ESP deutlich später ein und erlaubt dem Heck mehr Unruhe als beim in der Kategorie souveräneren Model 3.

Dass ausgerechnet Tesla nach wie vor beim adaptiven Tempomaten patzt, ist indes unverständlich, seit Jahren bekommt man die Phantombremsungen nicht in den Griff. Egal in welcher Situation und auf welcher Straße, es vergeht so gut wie keine Fahrt, bei der das Auto nicht ohne erkennbaren Grund plötzlich abbremst. Mal mehr, mal weniger scharf. Das ist nicht nur lästig, sondern kann auch zu gefährlichen Situationen führen, schließlich rechnet der nachfolgende Verkehr nicht mit solchen Bremsmanövern auf leeren Straßen.

Sparsamerer Tesla, fast idente Praxisreichweite

Womit wir auch schon bei den Kernthemen dieses Vergleichstests angelangt wären, bei Reichweite und Laden. Der BYD Seal verfügt wie erwähnt über einen 84 kWh großen Akku, 82,5 kWh sind davon netto fürs Fahren verfügbar. Beim Tesla Model 3 ist das Verhältnis 78,1 zu 75 kWh. Auf dem Papier schafft der Seal eine Reichweite von 490 Kilometer nach WLTP, der Verbrauch inklusive Ladeverluste liegt bei 18,0 kWh. Tesla meldet eine Reichweite von 629 Kilometern bei einem Verbrauch von lediglich 14,0 kWh.

Ein doch deutlicher Unterschied, der sich beim Praxistest auf unserer 50-Kilometer-Runde durch die Stadt, über Land und auf der Autobahn aber etwas relativiert hat. Das Model 3 Long Range verbrauchte 14,6 kWh, der Seal kam auf 16,9 kWh, jeweils ohne Ladeverluste. Hochgerechnet auf den nutzbaren Akku bedeutet das rund 510 Kilometer Reichweite beim Tesla und 485 Kilometer beim BYD. Beides sind Werte bei trockener Fahrbahn und 13 Grad Außentemperatur, in der Praxis sind je nach Fahrprofil noch etliche Kilometer abzuziehen, bei höheren Temperaturen können die Angaben aber auch durchaus übertroffen werden.

Gleichstand beim Laden

Ist der Akku leer, geht’s ans Laden und auch hier fallen die Unterschiede der beiden Testprobanden in der Theorie zunächst deutlich aus. Während der Seal trotz 800-Volt-Architektur nur maximal 150 kWh aus dem Schnelllader ziehen kann, schafft das Model 3 mit 400-Volt-Architektur bis zu 250 kW. Im Idealfall dauert der Ladevorgang von 10 bis 80 Prozent beim Tesla 27 Minuten, während der BYD 37 Minuten am Stecker hängt. In der Praxis waren es – von 20 auf 80 Prozent – beim Tesla rund 33 Minuten, beim BYD 32 Minuten.

Das Model 3 ist zwar mit einer hohen Ladeleistung gestartet, hat dann aber an Boden verloren, möglicherweise hat aber auch die hohe Auslastung des Superchargers mitgespielt. Beim BYD fiel die Ladeleistung an bestimmten Schnellladern mehrmals nach kurzer Zeit rapide ab, ein Software-Update hat das Problem dann behoben. An der Wechselstrom-Wallbox mit elf kW benötigen die beiden von null auf 100 Prozent rund 8:15 beziehungsweise 9:00 Stunden.

In Sachen Multimedia ist Tesla voll in seinem Element

Überwacht werden kann die Ladung bei beiden Autos mit einer eigenen App, über die auch die Klimatisierung aktiviert werden kann, bei beiden Autos sogar jede einzelne der vier Sitzheizungen sowie die Lenkradheizung. Das Model 3 erlaubt zudem einen Wächter-Modus, der etwaige „Annäherungsversuche“ auf das geparkte Auto auf Video aufzeichnet. Und es gibt noch weitere Features: Der Hundemodus öffnet alle Fenster einen Spalt breit und sorgt für ein gutes Klima, zudem kann man sich im Tesla mit Netflix, Karaoke oder Videospielen beim Laden unterhalten. Und es gibt neben der Schlüsselkarte auch die Möglichkeit, das Handy zu koppeln und als Schlüssel zu verwenden.

Preislich auf Augenhöhe

Last but not least natürlich der Blick auf die Preise, wenngleich bei den andauernden Änderungen seitens Tesla die Möglichkeit gegeben ist, dass der Preis bei Drucklegung mittlerweile nicht mehr stimmt ... Derzeit bekommt man das von uns getestete Tesla Model 3 Long Range für 43.325 Euro netto, das heckgetriebene Basismodell mit 57,5 kWh Akku und 513 Kilometer WLTP-Reichweite kostet 36.658 Euro netto. Unser Test-BYD, der Seal Excellence AWD, kommt auf 42.817 Euro netto, der heckgetriebene Seal Design RWD mit gleichem 84-kWh-Akku und 570 Kilometer Reichweite auf 40.317 Euro netto.

In Sachen Ausstattung gibt es bei beiden „volle Hütte“, alle Annehmlichkeiten sind Serie, lediglich für Farben und Felgen wird Aufpreis verlangt. Tesla bietet darüber hinaus zwei Pakete, den erweiterten Autopiloten für 3.800 Euro und die volle Vorbereitung auf das autonome Fahren für 7.500 Euro. Etliche geplante Features werden allerdings erst zu späterer Zeit per Software-Update eingespielt.

Das Resümee unseres Vergleichstests

Einen klaren Sieger auszumachen, ist ein Ding der Unmöglichkeit, denn obwohl sich die beiden Autos optisch zumindest ähneln, hat man es mit völlig unterschiedlichen Charakteren zu tun. Wer sein Auto gerne so minimalistisch wie möglich haben will, wird den Tesla lieben. Ob der Verzicht auf Hebel für Blinker, Scheibenwischer und Fernlicht der Weisheit letzter Schluss ist, muss jeder für sich beurteilen.

Während man sich daran durchaus im Lauf der Zeit gewöhnen kann, sind es Basics, die im Model 3 nerven. Ein adaptiver Tempomat, der immer wieder aus dem Nichts und ohne Hindernis bremst, eine Fernlichtautomatik, die nicht abblendet, wie sie sollte, und ein Regensensor, der tut, was er will, sind schlicht ein No-Go. Auf der Haben-Seite dafür ein unglaublich souveräner Antrieb und ein ebensolches Fahrwerk, die in Kombination herzhaften Fahrspaß garantieren.

Der Herausforderer von BYD weiß mit der schnittigeren Optik und dem konventionellen Innenraum mit guten Materialien und hochwertiger Verarbeitung zu gefallen. Auf die Basics ist Verlass und das allein ist viel Wert. Der Antrieb hat noch nicht ganz den Feinschliff des Model 3, das Fahrwerk ist nicht ganz so souverän, wenngleich das wirklich Meckern auf hohem Niveau ist. Beim Kernthema Reichweite hat der Tesla die Nase zwar mit etwas niedrigerem Verbrauch leicht vorn, der BYD kompensiert das aber mit dem größeren Akku. Einzig die Ladegeschwindigkeit dürfte beim Seal etwas höher sein.

Preislich liegen die beiden Kopf an Kopf, zumindest so lang, bis Tesla die Preise wieder einmal spontan senkt oder anhebt. Im Hinblick auf ungewisse TCO und Restwerte (siehe Galerie) übrigens ein Grund, warum Tesla aus etlichen Car-Policys wieder entfernt wurde. Dennoch liegt das Model 3 bei Wertverlust und Restwerten laut Eurotax über dem Seal. •

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