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Was die WRC-Teams sagen Die Teams sind uneins darüber, ob die WRC ein Qualifying braucht
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Braucht die Rallye-WM wieder Qualifying? Was die WRC-Teams sagen

Die Startreihenfolge war bei der Lettland-Rallye ein heißes Thema und hat die Qualifying-Debatte in der Rallye-Weltmeisterschaft neu entfacht

Als die Rallye-Weltmeisterschaft (WRC) am vergangenen Wochenende zum ersten Mal in ihrer Geschichte in Lettland gastierte, gab es wohl nur ein Wort, welches öfter genannt wurde als der Name des Lokalhelden Martins Sesks. Es war das Wort Startposition.

WRC-Tabellenführer Thierry Neuville entfachte eine Debatte darüber, wie die WRC die Startreihenfolge bestimmt. Es liegt in der Natur des Rallyesports, dass immer jemand aufgrund seiner Position auf der Straße benachteiligt sein wird.

Bei Schotterrallyes wird es sich negativ auf den Zeitenmonitor aus, wenn man als erste auf die Strecke gehen muss - es sei denn, das Wetter ändert sich. Im Gegensatz dazu wird es bei Asphaltrallyes oft als Vorteil angesehen, als Erster auf die Strecke zu gehen, da die Straßen mit jeder Überfahrt schmutziger und langsamer werden. Warum? Weil beim Abkürzen der Kurven Dreck und Schotter auf den Asphalt geschleudert werden.

Laut dem aktuellen WRC-Reglement muss der WM-Spitzenreiter die Zeitenjagd auf der ersten Etappe einer Rallye eröffnen - unabhängig davon, ob es sich um eine Asphalt- oder eine Schotterrallye handelt.

Mit dieser Regel soll ein engerer Kampf den WM-Titel geschaffen werden, indem verhindert wird, dass der Tabellenführer durch eine günstige Startposition auf und davonfährt. Für die zweite Etappe einer Rallye wird die Startreihenfolge geändert. Sie basiert dann auf dem Ergebnis der ersten Etappe, wobei der Schnellste als Letzter startet.

In Lettland, einer Schotterrallye, kam am vergangenen Wochenende die Frustration über die Startreihenfolge zu Tage, allen voran bei Neuville. Der Hyundai-Pilot ist der Meinung, dass es an der Zeit sei, das Reglement zu ändern.

"Warum sollte ich mir das das ganze Jahr über jedes Wochenende antun?", fragte Neuville. "Wir haben zu Beginn des Jahres einen guten Job gemacht, aber wir werden nicht dafür belohnt. Egal wer den WM-Titel erringt, ob Ott [Tänak], Elfyn [Evans] oder ich, derjenige wird am Ende des Jahres vielleicht nur eine Rallye gewonnen haben."

"Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Die Strategie, um den WM-Titel zu gewinnen, ist nicht mehr die gleiche. Heutzutage macht es viel mehr Spaß, eine Teilzeitsaison zu fahren, weil man mehr davon hat", ärgerte sich Neuville.

"Vor Jahren, als [Sebastien] Ogier als Erster auf die Strecke ging, gab es im Kalender einige Asphaltrallyes inmitten der Schotterrallyes. Jetzt aber haben wir sieben Schotterrallyes hintereinander", so Neuville mit Blick auf den Abschnitt Portugal, Italien, Polen, Lettland, Finnland, Griechenland, Chile im WRC-Kalender 2024. "Was soll man da machen? Selbst wenn wir 40 Punkte Vorsprung haben, müssen wir kämpfen, denn es gibt keine Chance, diesen Vorsprung zu halten."

Lettland bot den perfekten Rahmen für diesen Wutausbruch, da ungewöhnlicherweise am Freitag und Samstag ungewöhnlicherweise nur drei der 15 Wertungsprüfungen zweimal befahren wurden, was den Effekt der "Straßenfeger", also der zuerst auf die Strecke gegangenen Fahrer, noch verstärkte. Bei den meisten Rallyes im WRC-Kalender werden drei oder vier Schleifen mit jeweils mehreren Wertungsprüfungen zweimal befahren. Dadurch wird der Schaden des Fegens der Straßen verringert.

Hinzu kommt: Das Phänomen des Straßenfegens wurde in Lettland noch dadurch verschlimmert, dass vier der zehn Rally1-Autos von Teilzeitfahrern pilotiert wurden. Das bedeutete, dass dieses Quartett aufgrund seiner Position in der WRC-Gesamtwertung von günstigeren Startpositionen im Vergleich zu den Vollzeitfahrern profitierte.

Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte der Rallye-Weltmeisterschaft, dass diese Debatte aufkommt. Der achtmalige Weltmeister Sebastien Ogier kämpfte in seiner Zeit der Dominanz jahrelang für eine Änderung der Regeln, verlor diesen Kampf aber. Ist es also an der Zeit zu überdenken, wie die Startreihenfolge in der Rallye-WM festgelegt wird?

Die Wiedereinführung einer Qualifikationsprüfung war in Lettland ein heißes Thema. Die Europäische Rallye-Meisterschaft (ERC), die ebenfalls vom WRC-Promoter betrieben wird, wartet bei jeder Rallye mit einer solchen Qualifikationsprüfung auf.

In der ERC-Saison 2023 wählten die 15 schnellsten Fahrer der Qualifikationsprüfung ihre Startposition für die erste Etappe, wobei der Schnellste zuerst wählen durfte, gefolgt von den restlichen 14 Fahrern. In der aktuellen ERC-Saison 2024 wurden die Regeln dahingehend geändert, dass die schnellsten Fahrer der ersten Etappe bei Asphaltrallyes in dieser Reihenfolge starten, bei Schotterrallyes starten sie in umgekehrter Reihenfolge.

Ein ähnliches System gab es in der WRC in den Saisons 2012 und 2013, bevor es infolge der Dominanz von Ogier am Jahresende 2013 abgeschafft wurde. Unter den Teams sind die Meinungen geteilt, ob die WRC für die Zukunft eine Änderung der Regeln für die Startreihenfolge in Betracht ziehen solle.

Hyundai: Vollzeitfahrer sollten stärker belohnt werden

Im Hyundai-Team wird die Ansicht seines Spitzenfahrers Thierry Neuville unterstützt, aber Teamchef Cyril Abiteboul sagt, dass das Problem komplexer ist. Es gehe nicht allein darum, eine Lösung zu finden, um den WM-Spitzenreiter in Bezug auf die Startposition stärker zu belohnen.

"Ich glaube, wir haben es im Moment mit einer Verkettung unglücklicher Umstände zu tun", sagt Abiteboul, "nämlich einer Situation mit Teilzeitfahrern, die nicht in unseren Händen liegt, sondern in den Händen von Toyota, unserem Hauptkonkurrenten".

"Das ist ein Nachteil für die Fahrer-WM, aber ein klarer Vorteil für die Hersteller-WM. Wir haben ein Reglement, das nicht wirklich eine Nominierung von Vollzeitfahrern vorschreibt. Das könnte man aber mit nur einer Wortänderung im Reglement leicht beheben", meint Abiteboul.

"Wir haben außerdem die Situation eines Kalenders, der eine Reihe von Schotterrallyes hintereinander vorsieht. Und letztendlich müssen wir vielleicht auch eine Qualifikationsprüfung in Betracht ziehen, aber wir sollten das nicht isoliert betrachten", so der Hyundai-Teamchef.

"Wenn wir etwas machen, müssen wir es auch mit dem Punktesystem verbinden. Es ist ein Paket, das zusammengehört", sagt Abiteboul und gibt zu bedenken: "Ich finde, dass wir manchmal im Motorsport, und insbesondere im Rallyesport noch reifer und cleverer werden müssen, um komplexe Situationen zu meistern."

"Ich glaube, wir haben in diesem Jahr ein System, das bei Vollzeitfahrern wie Thierry und Ott für viel Frustration sorgt. Ich glaube, wir sollten das Engagement solcher Fahrer ein wenig stärker belohnen und die Siege und die dafür eingegangenen Risiken stärker honorieren", so der Hyundai-Teamchef.

"In Lettland gab es keinen echten Kampf. Warum war das so? Weil der Sieg nicht wirklich belohnt wird und ein Sieg für denjenigen, der die Straße eröffnet, eigentlich gar nicht möglich ist. Man hat den Eindruck, dass an diesem Wochenende sehr wenige Fehler gemacht wurden. Ich glaube, das liegt genau an dieser Situation, die letztendlich nicht gut für die Fans ist", so Abiteboul.

Toyota: Qualifying bremst Entwicklung junger Fahrer

Toyota-Teamchef Jari-Matti Latvala spricht sich entschieden gegen die Wiedereinführung des Qualifyings aus, und zwar aus einem einfachen Grund: Da es die Entwicklung junger Talente behindern kann, vor allem in einer Zeit, in der die Testmöglichkeiten stark eingeschränkt sind.

"Es ist nicht gut für die jungen Fahrer. Ich weiß, dass die Topfahrer es hassen, als erstes Auto auf die Strecke gehen zu müssen, sagt Latvala, selber ein ehemaliger WRC-Laufsieger und de facto derjenige mit den zweitmeisten Siegen ohne WM-Titel - hinter einem gewissen Thierry Neuville.

"Heutzutage sind die Testmöglichkeiten so begrenzt, dass es unmöglich ist, sein Potenzial zu zeigen. In der Rallye-WM war es schon immer so, dass jemand leiden muss. Es ist der Schnellste, der für einen Tag ein bisschen schlechtere Karten hat. Das war schon immer so", sagt Latvala.

M-Sport-Ford: Mit Qualifying gäbe es die Sesks-Story nicht

M-Sport teilt Latvalas Ansicht, wonach das aktuelle System der Startreihenfolge nicht geändert werden müsse. Richard Millener, Teamchef der Ford-Mannschaft, verweist darauf, dass die WRC ein Unterhaltungsgeschäft sei.

"Wir sollten genau das beibehalten, was wir haben. Wenn man ein Qualifying einführen oder die Startreihenfolge ändern würde, dann wäre diese ganze Sesks-Geschichte mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht passiert", sagt Millener.

"Ja, ich verstehe, dass Thierry ein schwieriges Wochenende hatte. Es war nicht einfach für ihn, aber er führt die Gesamtwertung immer noch an. Wie Kalle [Rovanperä] und Elfyn [Evans] schon gesagt haben, ist es nicht einfach, einen WM-Titel zu erringen. Jeder war schon einmal in dieser Lage", so der M-Sport-Teamchef.

"Wir müssen uns davon lösen, was die Teams wollen", fordert Millener. "Denn sie wollen nur gewinnen. Die Fans lieben, was wir haben, der Kampf ist eng. Wir sind ein Unterhaltungsgeschäft und wir haben eine fantastische Meisterschaft. Das da einige Leute gewinnen und andere verlieren, ist klar."

Was Motorsport.com sagt

Die Meinung von Tom Howard, Rallye-Redakteur für die englischsprachige Ausgabe von Motorsport.com, einer Schwesterplattform von Motorsport-Total.com im Motorsport Network, ist wie folgt.

Wie die obigen Meinungen gezeigt haben, ist das Thema unter den Teams umstritten. Unterm Strich steht die WRC vor einem spannenden Titelkampf, denn die Top 3 der aktuellen Fahrerwertung liegen nur 13 Punkte auseinander. Der Titelkampf ist spannend, aber es ist schwer zu sagen, ob die Spannung mehr auf die Startreihenfolge, auf die Auswirkungen der Teilzeitfahrer oder auf das neue Punktesystem zurückzuführen ist.

Zweifelsohne wäre ein Qualifying die fairste Methode, um die Startreihenfolge der Spitzenfahrer zu bestimmen. Es könnte der Rallye-WM eine Möglichkeit eröffnen, um neue Fans anzusprechen. In der Formel 1 zum Beispiel ist das Qualifying oft spannender als die Rennen selbst. Das könnte also ein Publikumsmagnet sein.

Die Fans wollen außerdem sehen, wie die besten Fahrer gegeneinander um die Spitzenplätze kämpfen, was derzeit nur selten der Fall ist. Andererseits öffnet dies die Büchse der Pandora, indem ein Fahrer dominieren könnte und die Weltmeisterschaft weit vor Ende der Saison entschieden sein könnte.

Latvala und Millener haben darauf hingewiesen, dass das Qualifying die Nachwuchsarbeit erschweren würde. Und frische Gesichter sind genau das, wonach die WRC schreit. Martins Sesks ist das beste Beispiel dafür. Seine Leistungen in Polen und Lettland waren spannend zu verfolgen und haben Leute auf die WRC aufmerksam gemacht.

So gerne ich es auch sehen würde, wie ein Qualifying in der aktuellen WRC-Ära funktionieren könnte, so ist es dennoch vielleicht am einfachsten, einfach dafür zu sorgen, dass der WM-Spitzenreiter durch einen angemessenen Kalender stärker belohnt wird - ein Kalender, in dem ein paar Asphaltrallyes die derzeitige Serie von sieben aufeinanderfolgenden Schotterrallyes unterbrechen.

Motorsport-Total.com

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