Rallye-WM: Hintergrund | 07.05.2008
Wer geht hier zu weit?
Beschämender E-Mail-Verkehr: Während die WRC immer teurer und unattraktiver wird, sorgen sich FIA-Granden um die Rasur von Sébastien Loeb...
Michael Noir Trawniczek
Die Rallye-Weltmeisterschaft hat ein Problem. Für die Hersteller wird sie immer unattraktiver - erst unlängst hat Citroen-Teamchef Olivier Quesnel die mangelhafte Vermarktung der WRC kritisiert. Private Einsätze sind aufgrund der immens gestiegenen Kosten immer schwerer zu realisieren - unter anderem auch deshalb, weil man den Sponsoren zu wenig PR bieten kann.
Das Image der Rallye-WM ist zum Teil verstaubt, ihre Medienpräsenz lässt vielerorts zu wünschen übrig. Für die Sportler selbst wird es immer schwieriger, ihren Sport auszuüben - nur noch der viel zitierte Geldkoffer verschafft den Piloten ein Cockpit, gleichgültig wie groß ihr Talent auch sein mag.
Ein gutes Beispiel ist Manfred Stohl, der als bester Privatpilot in die Geschichte dieses Sports einging, als er mit einem privaten Peugeot 307 WRC und mit Ilka Minor am Beifahrersitz den vierten Platz in der WM des Jahres 2006 belegen konnte. Nach dem Absprung seines Hauptsponsors steht Stohl heute ohne Cockpit da. Fahrer wie Francois Duval müssen regelmäßig auf Betteltour gehen, um die eine oder andere WM-Rallye fahren zu dürfen.
Das Teilnehmerfeld bei den WM-Läufen ist derart geschrumpft, dass man die WRC-Piloten bald schon an zwei Händen abzählen kann. Das Reglement der WRC ist unstet und sorgt für Verunsicherung. Doch die in der FIA für die WRC verantwortlichen Herren scheinen ganz andere Sorgen zu haben...
Die wahren Sorgen der FIA-Granden
Die britischen Kollegen von Grandprix berichten, dass der französische Figaro in seiner Ausgabe vom Mittwoch einen nicht uninteressanten E-Mail-Verkehr zwischen verschiedenen und vor allem hochrangigen FIA-Verantwortlichen veröffentlicht hat. Dieser zeigt auf, wie sehr sich die FIA-Verantwortlichen um das Image der Rallye-WM kümmern...
Die erste Mail stammt von Surinder Thatti, er soll Max Mosley sehr nahe stehen, er ist innerhalb der FIA der Kopf der 'FIA Confederation Of African Countries in Motorsport'. Er schrieb an den Vorstand des WRC-Komitees der FIA, Morrie Chandler: "Ich habe mir in der letzten Nacht die Highlights der Mexiko-Rallye im WRC-TV angesehen - und ich muss meine Meinung zum dürftigen Erscheinungsbild von Sébastien Loeb äußern. Er war unrasiert, sah vergammelt und dreckig aus, mit ungekämmtem Haar! Das ist einfach falsch. Wenn ihm die FIA eine globale TV-Berichterstattung widmet, mit Millionen von Zusehern - und für viele Kinder ist er weltweit ein Held und Vorbild. Es ist ein großer Fehler von ihm, so zu erscheinen, wie er es im Ziel der Mexiko-Rallye getan hat - und im Kontrast dazu wirkte sein Co-Pilot adrett und sauber. Ich weiß, dass ein gewisses Level an persönlicher Freiheit erlaubt ist - aber ich denke, dass Loeb zu weit geht und es sollte jemand mit ihm oder seinem Team darüber sprechen."
Chandler: "Beleidigung für wirkliche Männer"
Morrie Chandler schrieb laut dem Bericht folgende Antwort: "Unglücklicherweise ist das ein Problem, das nicht nur in unserem Sport üblich ist - dieses Problem gibt es auch im Fußball oder in anderen Männersportarten. Natürlich stellen solche Personen eine Beleidigung für wirkliche Männer dar. Doch dann war Loeb auch noch so arrogant, um 90 Minuten zu spät zum FIA Award Dinner zu erscheinen. Die einzige Lösung, die ich anbieten kann, wäre, dass man ISC vorschlägt, diese Personen nicht mehr im Close Up zu zeigen. Das erfüllt ihren Anspruch, den sie als Sieger innehaben - aber kein Close Up und nur kurz im Bild - sodass man jene Personen fokussieren kann, die unseren Sport gut repräsentieren."
Chandler sandte eine Kopie seiner Antwort auch an die ISC-Leute Simon Long und Neil Duncanson, dem Boss von North One Television und Besitzer von ISC. Die ISC (International Sportsworld Communicators) sind mit dem Auftrag der weltweiten Vermarktung der WRC (World Rally Championship) bedacht.
Der Fernsehmann klärt auf
ISC-Mann Simon Long antwortete: "Es steht mir nicht zu, die Verspätung von Piloten bei FIA Dinners zu kommentieren, doch meinem Gefühl nach ist es genau diese raue-good-looking Erscheinung, die Sébastien dabei geholfen hat, sich bei so vielen neuen und jungen Fans beliebt zu machen - in Frankreich und auf der ganzen Welt. Es wäre angesichts unserer Versuche, das Image der WRC aufzupolieren, ein großer Fehler, wenn wir Loeb oder irgendeinen anderen Fahrer der WRC instruieren würden, nur noch in einem fototauglichen, glattrasierten und makellosen Look aufzutreten. WRC ist rau und wild, und nicht makellos. Das ist ein wesentlicher Teil der Anziehungskraft, die dieser Sport ausübt - und Sébastien Loeb ist ein derart wichtiges Element, das einen großen Teil dieses Sports ausmacht."
Chandler antwortete schmallippig: "Ihre Organisation ist verantwortlich für die Berichterstattung und den Medienzuwachs der WRC. Wenn Ihnen Ihre Erfahrung sagt, dass Loebs Betragen und Erscheinungsbild für Verkaufszahlen sorgt, dann soll es so sein."
Intrigenstadl
Der E-Mail-Verkehr entstand im März, also vor der Affäre rund um FIA-Präsident Max Mosley. Es stellt sich die Frage, warum er veröffentlicht wurde. Und warum das erst jetzt getan wurde. Dabei könnte eine Rolle spielen, dass Thatti und Chandler für Mosley wichtige Eckpfeiler innerhalb der FIA darstellen. Denn die veröffentlichten E-Mails stellen Thatti und Chandler in kein gutes Licht. Ganz im Gegenteil - es wird anhand dieser Mails deutlich sichtbar, welche Art von Menschen in der Obersten Sportbehörde wirken und welche Sorgen diese Menschen haben...